Schwere Bergtour Rubihorn Nordwand

Dieses Thema im Forum "Tourenbeschreibungen unserer Mitglieder" wurde erstellt von Benni, 13. Dezember 2013.

  1. Benni

    Benni Registrierter Benutzer

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    Stuttgart
    Mixed-Kletterei bis IV in toller Nordwand-Atmosphäre.


    Seit über einem Jahr schaute ich auf der B19 kurz vor Oberstdorf nicht mehr auf die Straße sondern lieber nach links aufs Rubihorn. Genauer auf seine Nordwand.
    Vor zwei Jahren kam mir die Idee zum ersten Mal. Damals hielt ich aber die Wand für zu schwierig und Kletterpartner sollte sich sowieso keiner dafür finden. Also verging der Winter nur mit vielen Blicken auf die Wand und bei jeder An- und Abreise träumte ich davon, irgendwann einmal da durch zu steigen.
    Am Ende des Sommers war ich aber noch weiter davon entfernt als davor. Mein langjähriger Kletterpartner zog langsam aber sicher den Schwanz ein und auch sonst konnte ich keinen von meinem Plan überzeugen. Ich wollte mehr als nur die Standard-IIIer. Ich wollte endlich mal wieder ein Stück weiter kommen. Etwas neues machen und dabei langsam meine Grenze weiter nach oben verschieben.
    Also musste etwas passieren. Ich schrieb in ein paar Foren und suchte ganz gezielt nach einem Partner für diese Tour. Ziemlich verrückt kam mir diese Idee vor. Warum soll man mit einer wildfremden Person in eine verschneite, vereiste Nordwand einsteigen? Antwort: Weil ich es sonst gar nicht hätte tun können. Es war sozusagen meine letzte Chance jemanden zu finden, der bereit für diese Tour ist. Alles andere half nichts.
    Ein paar Tage später schrieb mich jemand an. Er hat Interesse an kombinierten Touren, seine Erfahrung war mit meiner gleich zu setzen und wir fanden schnell einen Plan, hinter dem wir beide voll und ganz stehen konnten. Wir wollten nichts überstürzen. Uns die Wand und die ersten Seillängen erst einmal anschauen. Vielleicht den ersten IV-er in der zweiten Seillänge anklettern. An eine Durchsteigung wollten wir uns nur dann wagen, wenn uns die ersten Schwierigkeiten keine zu großen Probleme bereiten und die Verhältnisse es uns nicht zu schwer machen. Wir planten sehr genau. Alles sollte sicher ablaufen. Zwei 60m Halbseile für einen schnellen Rückzug. Friends, Keile, Weichstahl-Haken. So viel Krempel hing noch nicht oft an meinen Materialschlaufen… Wir machten einen Termin fest und ausnahmsweise war an diesem Tag sogar das Wetter auf unserer Seite.

    Start um 7 Uhr am Parkplatz „Gaisalpe“ in Reichenbach - 860m. (2,50€)
    -6°C, stockfinster und ein paar Zentimeter gefrorener Schnee.
    Wir haben ein Auto in Oberstdorf geparkt. Wir kennen die Verhältnisse im Abstieg nicht und wollen uns beide Wege offen halten. Der stürmische Westwind der letzten Tage könnte unseren Abstieg nach Osten zum Gaisalpsee ganz ordentlich verblasen haben. In diesem Fall, oder auch wenn nur der Weg zur Seealpe gespurt wäre, könnten wir so schnell wieder zu unserem geparkten Auto in Reichenbach kommen.
    Wir packen schnell unsere Sachen und im Schein unserer Stirnlampe laufen wir auf asphaltiertem Weg bergauf. Der Weg schlängelt sich mit angenehmer Steigung durch Wald und Wiesen. Wir laufen schnell. Gerade noch so schnell um ein paar Worte zu wechseln und uns kennen zu lernen. Wir reden über die Verhältnisse in der Wand. Mein Kollege war gestern schon am Einstieg und fand nur eine beängstigend lockere Schneeauflage auf dem Fels, die sehr verunsichernd wirken musste. Auch fand er heraus, dass mindestens vier Seilschaften in die Wand stiegen. Mindestens zwei davon auf unserer, klassischen Route. Und er fand heraus, dass zwei Seilschaften abbrechen mussten. Aus welchen Gründen genau wussten wir nicht. Wir ließen uns nicht beirren und stehen nach einer Stunde vor dem Schuttkegel unter der Nordwand. Die Wand sieht besser aus als erwartet. Wenig Schnee und auch nicht so steil wie befürchtet. Der Schnee ist knöcheltief und wechselt zwischen weichem Pulver und windgepressten Platten. Manche Stellen sind komplett frei geblasen. Auf unserem Schuttkegel kommen wir aber nur langsam voran. Wir sind ganz alleine. Aber warum? Wir haben mit größerem Andrang als gestern gerechnet. Es ist Sonntag und bestes Wetter.
    Aus einer geschätzten halben Stunde wurde ein einstündiger Gewaltanstieg, der mit Pickel und Steigeisen wesentlich einfach zu gehen gewesen wäre. Einige Verschnaufpausen geben mir Zeit, die Wand zu beurteilen. Dabei wird mir immer wieder klar, wo ich mich gerade befinde. Und wie lange ich auf diesen Tag gewartet habe. Dieses Gefühl sollte mich noch die ganze Tour ununterbrochen begleiten. Oft stand ich auf einem Gipfel und hatte kein Gespür für dieses Gefühl, wo man gerade steht. Oder was man dafür getan hat. Dabei braucht man sich nur an die unzähligen Touren, an denen man den Gipfel, auf den man gerade gestiegen ist, voller Faszination betrachtet hat, erinnern. Wenn ich dieses Gefühl habe, weiß ich warum ich in die Berge gehe.
    Unten sehen wir zwei Seilschaften auf uns zu gehen. Wir freuen uns über die Gesellschaft. Das motiviert uns. Auf einer kleinen Kanzel rechts des Einstiegs legen wir die Steigeisen an und packen unsere Eisgeräte aus. Wir seilen an. Ziehen unsere Helme auf und unsere Handschuhe an.

    9 Uhr, Einstieg. Angenehme -7°C – 1550m.
    Es ist hell geworden. Unverfestigter Schnee bis über den Knöchel. Hochnebel verdeckt die Sonne, von der wir sowieso nichts abbekommen hätten. Wenigstens bleibt so der Abstieg vor dem vermatschen verschont. Das Licht würde jetzt das Fotografieren erlauben. Aber die dicken Handschuhe nehmen mir die Lust. Außerdem möchte ich jetzt endlich los!
    Die erste, leichte Seillänge (kurz II sonst Gehgelände) steigt mein Kollege vor, so dass ich die Zweite (IV) vorsteigen darf. Leider lässt sich auf die Schnelle kein Standplatz einrichten, aber Dank der fehlenden Schwierigkeit scheint eine Körpersicherung vertretbar. Er steigt langsam aber sicher vor. Die Zeit vergeht unglaublich langsam aber nach der kalten Wartepause höre ich endlich doch noch von rechts über mir „Stand“! Schnell hänge ich die Seile aus und steige nach. Eine Bandschlinge über einem Felsköpfl ist fast die einzige Zwischensicherung. Ich treffe meinen Kollegen in einem kleinen bequemen Kessel. Vor uns der erste IV-er. Sieht gut aus. Kein Schnee oder Eis. Eine kleine Verschneidung, nur 3 Meter hoch. Etwas griffarm aber die erste Zwischensicherung, in Form einer grünen Reepschnur, leuchtet mich schon an.
    Aber erst noch den Standplatz verbessern. Einem 0,75er Friend und einer abgebunden Schlinge, schlagen wir noch einen Haken dazu. „Bereit?“ „Bereit!“
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    Ganze 45 Minuten nach dem Einstieg steige ich in die zweite Seillänge. Mir wird klar was ich hier gerade tue. Und wie viel Spaß ich dabei habe. Einen halben Meter kann ich mich nach oben ziehen, bevor mir die Griffe ausgehen. „Lass dir Zeit und schau dir alles genau an“ kommt von unten. Ich freue mich über die Gelassenheit meines Kollegen und beherzige seinen Rat. Mit mehr Gewalt als Technik schiebe ich mich den Riss hinauf und hänge die erste Zwischensicherung in die Reepschnur. Nun geht es etwas leichter nach rechts oben auf ein breites schneebedecktes Band. Ich stapfe weiter. Mein Seil ist noch lange nicht zu Ende und ich will es so lange wie möglich nutzen. Über der nächsten kleinen Stufe hängt an einem stabilen Felszacken eine Schlinge. Meine letzte Zwischensicherung ist sicher schon zwanzig Meter unter mir, doch die letzten Meter sind gut zu klettern, so dass ich nach etwa fünfzig gekletterten Metern einen Standplatz errichte. Zu der vorhandenen Schlinge hänge ich noch eine und rufe laut: „Stand“. Mein Partner steigt zügig nach. Langsam scheinen wir unseren Rhythmus zu finden. Während ich das Seil einhole, klart langsam der Himmel auf. Sonthofen liegt in der Sonne. Der Grünten steht weiß unter dem blauen Himmel.
    Die dritte Seillänge liegt vor uns. Hinter der nächsten kleinen Stufe muss unter einem Überhang gequert werden. Hier sollte man genau schauen wo man sich sicher halten kann. Die Querung ist sehr kurz aber steil und bröselig, was ich aber von meinem Standplatz aus nicht sehen kann. Mein Vorsteiger setzt schon nach wenigen Metern den ersten Friend und kurz darauf gleich noch eine Schlinge dazu. Es geht nur sehr langsam voran und ohne die Bewegung in Hand und Füßen wird mir schnell kalt. Nur zentimeterweiße ziehen sich die Seile durch meine Sicherung, irgendwann immer schneller, bis ich fast nicht mehr mit Ausgeben nachkomme.
    Endlich darf ich nachsteigen. Endlich wieder warme Füße und Hände. Aber meine Euphorie wird nach zwei Metern sofort zunichtegemacht . Der Quergang fällt nach einigen Schritten steil und grifflos ins Nichts. Lange steh ich davor, suche Halt mit den Füßen und kratze mit einem Eisgerät den Schnee vom Fels. Ich wage mich vorsichtig einen Meter nach vorne, muss aber schnell einsehen, dass meine Griffe und Tritte nicht zuverlässig genug sind. Kurz bin ich einfach nur froh, hier nicht der Vorsteiger gewesen zu sein. Einige Schritte hinter mir und vor allem einen Meter unter mir finde ich aber dann doch noch den richtigen Weg. Eine kleine Stufe erlaubt einem Fuß einen sicheren Stand. Wenn man dort den richtigen Fuß platziert kann gleich weiter zum nächsten Tritt gespreizt werden. Die Eisgeräte finden währenddessen nur schlechten Halt und so gilt meine ganze Konzentration den Frontzacken meiner Steigeisen, die sich etwas wackelig auf dem eingeschneiten Fels festbeißen. Noch ein paar weitere Tritte und die Querung ist geschafft. Unter mir sehe ich wie eine Seilschaft sich fertig macht, für eine Route die weiter links als unsere verläuft. Die zweite Seilschaft ist nicht zu sehen.
    Weiter geht’s nach der Querung gerade hinauf über einen sehr steilen Absatz. Hier finden meine Eisgeräte sogar kurz halt in glasklarem Eis. Während die gesamte Route fast nur Fels und gefrorene Graspolster zu bieten hat, freut es mich richtig, hier meine Eisgeräte im Eis versenken zu dürfen. Die Stelle ist aber trotzdem schwer zu klettern. Mit mehr Eis im tieferen Winter könnte die Stufe sicher entschärft werden. Es folgen einige Meter Stapferei bis zum nächsten Standplatz an einem großen Block.
    Links lockt dort eine blaue Bandschlinge über einer trittfreien, steil geneigten Platte. Der Weg dort hoch scheint mir aber zu schwierig. Ich schaue also lieber nach rechts. Hier hängt eine Reepschnur an einem Klemmblock. Leicht geht es weiter ums Eck und nach 3 Metern ist mein sichernder Partner dahinter verschwunden. „Sieht steil aus“, rufe ich rüber. „Geht’s?“, kommt zurück? Keine Ahnung. Ich wird´s versuchen. Äußerst steiler Fels mit ein paar gefrorenen Grasbüscheln dazwischen schichtet sich direkt vor meine Nase nach oben. Rechts über mir sehe ich den einzigen Ausstieg aus dieser Felswand. Das erste Eisgerät findet guten Halt im Gras. Schnell finde ich heraus welches Geräusch es von sich geben muss, damit ich dem Griff voll und ganz vertrauen kann. Nach ein paar Graspolstern finde ich mich in gefühlt senkrechtem Gelände wieder. Die Eisgeräte halten super und die Steigeisen geben im gefrorenen Gras ein sicheres Gefühl. Weiter nach rechts oben. Es kostet mich viel Kraft so zu klettern. Manche Graspolster sind komplett eingeschneit und nur durch kleine verräterische Mulden im Schnee zu erkennen. Oft ziehe ich mich an zwei gut gesetzten Eisgeräten nach oben, löse eines und scharre damit sekundenlang im Schnee herum. Wo ich Gras vermute hacke ich kräftig hinein. Manchmal spritzen mir aber nur Steine und sogar Funken entgegen. Ich habe zwar schon von funkensprühenden Eisgeräten gelesen, aber dass ich so schnell selber zwei davon in der Hand halten kann freut mich irgendwie. Irgendwann findet aber jede Eisaxt einen Halt und so komme ich langsam nach oben. Es macht riesigen Spaß über das Gras zu steigen. Unter mir öffnet sich die Wand ins bodenlose. Der steile Schuttkegel sieht von hier fast eben aus. „Sieht schwierig aus, aber geht scho!“.

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    Die Querung führt nur langsam nach oben und die Grasbüschel sind rar. Einmal kann ich mich geschickt weiter hangeln, in dem ich mein linkes Eisgerät über die rechte Schulter hänge, das rechte Eisgerät in der Wand nun mit der linken Hand greife und mit der rechten wieder das Eisgerät von der Schulter hole. So habe ich die Eisgeräte getauscht und bin ganze 50 Zentimeter weiter nach rechts gekommen. Diesen Move habe ich aus einer Zeitschrift einer bekannten Ausrüstungsfirma. Irgendwie hab ich mir das gemerkt und ich bin überrascht wie einfach und kraftsparend man so queren kann. Richtige Euphorie macht sich breit. (Euphorie (gr. ευφορία, lat. euphoria, euforia) bezeichnet eine subjektiv temporäre überschwängliche Gemütsverfassung mit allgemeiner Hochstimmung, auch Hochgefühl genannt, mit einem gehobenen Lebensgefühl größten Wohlbefindens, mit gesteigerter Lebensfreude und verminderten Hemmungen. www.wikipedia.de) Zwischensicherungen sind hier keine möglich. Keine Sekunde möchte zu lange möchte ich hier an nur einem Pickel im Gras hängen. Auch wenn ein Sturz einen gewaltigen Pendler nach sich ziehen würde, die Stelle ist zu kurz und der nächste Standplatz schon in Sicht. Leider. Zu einem alten Felshaken setze ich dort einen 1er-Friend und bin überrascht darüber wie sicher er im Fels zu stecken scheint. Während ich das Seil einhole, denke ich darüber nach, wie ich ihn je wieder da heraus bekommen soll. Unten kann ich die verlorengegangene Seilschaft im Quergang ausmachen. Auch sie scheinen dort ihre Probleme zu finden, was mich ein bisschen erleichtert, sind die zwei doch in einem Spitzentempo den Schuttkegel hinauf gerannt.
    Wir stehen nun beide am Standplatz der fünften Seillänge. Lange habe ich mir eine Griff- und Trittfolge überlegt. Wie das aber in Wirklichkeit zu klettern sein soll, weiß ich auch danach nicht. Ein einziger guter Griff /später Tritt und sonst nur Gras das senkrecht über mir, fast schon hinter mir zu sein scheint bis nach 3- 4 Metern eine kleine Latschenkiefer erreicht wird. Danach ist der weitere Verlauf vom Fels verdeckt. Ich muss nicht vorsteigen. Mein Partner schmeißt sich in die Wand und hieft sich nach oben. Sieht unangenehm aus. Volles Vertrauen ins gefrorene Gras ist Vorrausetzung. Die Stufe ist nicht besonders hoch und so kann nach kurzer Zeit eine Zwischensicherung an der kleinen Kiefer eingerichtet werden. Mein Partner klettert weiter nach rechts oben und verschwindet hinter dem Fels. Langsam ziehen sich die Seile weiter nach oben, bis er plötzlich wieder auftaucht. Zehn Meter direkt über mir.

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    Das muss der letzte schwierige Stelle sein, denke ich von unten. Ein etwas ausgesetzter IV-er. Mein Partner hat noch die Nerven in die Kamera zu lachen bevor er sich daran macht, die letzte Schwierigkeit des Felsteiles hinter sich zu lassen. „Hier ist ja gleich ne Reepschnur!“, höre ich von oben. Inzwischen haben uns die Zwei anderen eingeholt. Ein Bergführer und sein Kunde sind schnell unterwegs. Es wird zwar etwas eng am Standplatz, aber jeder findet einen Platz. Es gibt kein Stress und wir werden nicht gehetzt. Ganz im Gegenteil. Der Bergführer lässt mich in aller Ruhe nachsteigen, weiter oben sei mehr Platz für uns alle. Dort kann besser überholt werden. Er fragt seinen Kunden nach Tabak. Dieser wirft etwas zu unbedacht die Tüte auf die Schuhe seines Führers. Eine falsche Bewegung und der Tabak rutsch auf dem gefrorenen Schnee ins Leere. Selbst ich als Nichtraucher kann das Entsetzen der Beiden verstehen. Erst eine Zwangspause und dann nichts zu rauchen. Alle nehmen es mit Humor, die Stimmung ist gut. Ich beruhige die beiden. Ich weiß dass mein Partner oben am nächsten Standplatz Tabak hat. Wenig später kommt das erlösende „Stand“ und ich leg los. Ich muss höllisch aufpassen. Direkt unter meine Steigeisen schauen zwei Gesichter jeden meiner Schritte genau an. Sollte ich abrutschen, kann keiner der Beiden sich irgendwie vor mir in Sicherheit bringen. Doch das Gras hält gut und der Griff liegt perfekt. Leichter als gedacht und voll motiviert steige ich die IIIer-Stufe zu der Kiefer und danach den IVer hinauf. Dort ist nochmal richtig Kraft gefragt. Ich sitze auf einem halben Meter großen Block der ausgesetzt über dem Abgrund hängt. Ein Bein links, ein Bein rechts. Über mir der letzte schwierige Zug. Ein mulmiges Gefühl habe ich dabei, meine Beine anzuziehen und mich aufzurichten. Dabei haben meine Eisgeräte nur schlechten Halt im Fels. Mit ein paar wenigen Zacken meiner Steigeisen steh ich auf dem Runden Fels und sehe nun die Reepschnur. Mir fällt auf die Schnelle nichts Besseres ein als mein Eisgeräte einfach in die Schlaufe zu hängen. Und schon bin ich drüber. Über mir öffnet sich das erste Schneefeld. Mein Kollege steht an einem Felsen und holt die Seile ein. Ich komme zu ihm und wir schauen uns den weiteren Weg an. Nicht besonders steil. 40° vielleicht. Der Schnee ist tief und meistens steckt man sicher bis zu den Knien darin fest. Wir sind kurz davor die Seile aufzunehmen, da sagt der Bergführer dass nach der nächsten Ecke wieder schwierigeres Gelände wartet und es unnötig wäre die Seile für so kurze Zeit zu verstauen. Also steige ich nach oben.
    Gesichert am Standplatz meines Partners. Es geht im tiefen Schnee nach oben. Ich versuche rhythmisch zu gehen. Der Aufstieg ist zwar gespurt, aber allem Anschein nach hatte der Bergsteiger vor uns mindestens drei linke Beine. Immer wieder muss ich halten um meine Füße sortieren, damit ich die knietiefen Trittspuren auch sinnvoll nutzen kann. Ich bin froh dass jetzt wenigstens die gröbste Kletterarbeit getan ist und ich meine Arme erst einmal entlasten kann. Die 60 Meter der Seile sind aber bald aufgebraucht. Standplatz ist auch keiner in Sicht und so beschließen wir ungesichert über dieses flachere Schneefeld zu steigen. Wir umgehen eine Felswand links von uns. Erst dort findet mein Partner einen Platz für eine Sicherung. Mit einem besseren Gefühl kann ich nun weiter vorsteigen. Eine zwei Meter hohe Stufe (II) stellt sich in den Weg. Wieder kann ich mit den Pickeln nur Funken sprühen lassen. Gras ist fast keines da. Und wenn ich welches finde, kann ich es nur quer auf Zug belasten. Zum Glück ist die Stufe nicht sehr steil und so mogel ich mich gerade so daran hinauf. Eine Zwischensicherung nimmt hier die gröbste Angst. Fünf Meter später hänge ich mich in zwei Schlaghaken an denen in einer Dose das Wandbuch und ein Meindl-Schuh hängen. Ich kann´s mir nicht verkneifen und rufe statt „Stand“ nur „Wandbuch“. Mein Kollege steigt nach und kommt wenig später bei mir an.

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    „Bist du beim Wandbuch?“, werde ich gefragt. Ich freue mich und sage: „Ja, so wie s aussieht schaffen wir´s!“. Die andere Seilschaft holt uns wieder ein und macht 5 Meter unter uns Stand. Kurz einen Energieriegel rein, was trinken und weiter geht’s. Ich bin dran mit Seil ausgeben. Es läuft schnell durch meine Sicherung. Eine kurze Pause, die auf eine Zwischensicherung schließen lässt. Dann geht’s weiter bis ich wieder einmal das erlösende „Stand“ höre. Ich hänge mich aus und klettere die steile Rinne nach links hinauf. Die Zwischensicherung hänge ich aus und stapfe weiter. Mein Partner steht am Anfang des Austiegstrichters und holt die Seile ein. Der weitere Weg sieht einfach aus. Wir denken wieder darüber nach, das Seil einzupacken. Aber ich hoffe auf eine Standmöglichkeit hinter einer vereisten Stufe und so lassen wir das Seil zwischen uns hängen. Ich quere weiter nach links den Trichter hinauf und komme vor der Stufe an. Steiler als erwartet. Links oder rechts entlang? Keine Zwischensicherung hinter mir. Hilft ja alles nichts: Gerade hoch durchs Eis und durch den Fels. Meine Arme werden schwach, bis ich wieder flacheren Schnee unter den Füßen habe. Ich suche einen Standplatz. Weit und breit nichts. Nur ein Felsblock steht im Schnee vor mir. Ich versuche einen Haken zu schlagen. Ohne Erfolg. „Häng dich aus! Ich finde keinen Stand! Das schaffst du auch so!“. Ich ziehe die Seile zu mir hinauf und stopfe sie in meinen Rucksack. Wenig später sehe ich den Bergführer wie er sich auf mich zu hackt. Er steht vor dem gleichen Fels wie ich. „Ich habe nichts gefunden“, sage ich. „I scho!“, sagt er und steckt grinsend einen Friend in den Block. "Da basst subbo n Friend nai". Ein paar Zentimeter weiter hätte ich graben müssen. Der Führer kennt sich wohl gut hier aus. Auch meinem Partner hat er einen einfacheren Weg um die Stufe herum gezeigt und so kommt er wohlbehalten bei mir an. Ein wenig schlecht fühle ich mich ja schon. Selbst am Seil aufzusteigen und meinen Kollegen ohne Sicherung das Gleiche zuzumuten, erfüllt mich nicht gerade mit Stolz. Aber durch die leichtere Umgehung verlieren wir keine weiteren Gedanken daran und stapfen beide ungesichert, in leichtem Gelände durch den Schnee nach oben .

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    Es ist anstrengend. Seit Stunden klettern wir jetzt schon in der Wand herum, aber wir sind gut gelaunt. Und überrascht. Keiner von uns glaubte wirklich daran, dass wir so weit kommen würden. Ein Rückzug nach zwei oder drei Seillängen war uns viel wahrscheinlicher. Die Aussicht wird immer grandioser. Mir bleibt nur wenig Zeit darauf zu achten, aber ich kann sie dafür umso intensiver nutzen. Es geht mittlerweile ein kalter Wind. Eine Pause ist nötig. Trinken, essen, verschnaufen. Dann weiter stapfen. Ich kann das Gipfelkreuz sehen. In der Sonne!
    Weit vor uns stellt sich noch einmal ein Felsriegel in den Weg. Die andere Seilschaft hat uns überholt und ist auf den letzten Metern. Doch die haben es in sich.

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    Meine Füße werden lahm, mir geht langsam die Puste aus. Und dann auch noch klettern! Die Felsstellen sind zwar nicht schwierig (II) aber meine Arme und Hände haben für heute genug geleistet. Langsam ziehe ich mich an den Eispickeln nach oben. Verankere sie im Fels, im Schnee oder auch einfach nur in den Ästen und Wurzeln der Latschen die hier wachsen. Dann das nächste Schneefeld.

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    Der Gipfel scheint nicht näher zu kommen. Sehr langsam wühlen wir uns nach oben. Der Schnee ist tief und die drei linken Beine meines Vorsteigers machen mir immer mehr zu schaffen. Trotzdem freue ich mich über jeden Schritt, mit dem ich weiter nach oben komme. Haben wir es doch tatsächlich geschafft? Fast! Der letzte Gipfelanstieg wird sichtbar.

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    Zwar habe ich kaum noch Kraft zu klettern, aber da muss ich jetzt durch. „Arg viel länger dürfte die Wand aber auch nicht sein“, keuche ich zu meinem Partner. Die Eisgeräte greifen gut zwischen den dich vereisten Kiefern.

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    Dann höre ich Stimmen. Ich schaue nach oben, aber sehe nichts. Nur blauer Himmel. Viel kann nicht mehr über mir sein! Noch ein, zwei Züge vielleicht. Und dann schlage ich mein rechtes Eisgerät zum letzten Mal für diese Tour nur ein paar wenige Meter vom Gipfelkreuz entfernt ins Eis. Was für ein Aussteig. Schlagartig öffnet sich das Panorama in alle Richtungen. Nebelhorn, Schneck, Hochvogel und so weiter. Ich drehe mich einmal um 360° und werde mir wieder bewusst wo ich bin. Und wie ich dort hingekommen bin. Unter mir sehe ich, wie sich die B19 durch die Hügel schlängelt. Ich denke an die vielen Male, die ich fasziniert hinterm Steuer saß und nur Augen für die Wand hatte. Und jetzt stehe ich über ihr. Auf dem Gipfel. Erfolgreich. Glücklich. Erschöpft. Handschläge, Glückwünsche und Erleichterung. 15.00Uhr. Zwei Eisgeräte hacken sich wenige Meter von meinen Füßen entfernt ins Eis und gleich danach kann ich meinem Partner zulachen. Wir haben´s geschafft. Ich trinke eiskaltes Wasser und knall mir mit drei Bissen einen 300g schweren Christsollen in den Latz. Immerhin ist ja zweiter Advent.

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    Mein Partner links und ich rechts auf dem Rubihorn.

    Der Abstieg ist anfangs steil und der tiefe Schnee lässt uns nur langsam zum Gaisalpsee absteigen. Erst kurz vor der Gaisalpe wir der Schnee weniger. Als wir dort ankommen ist es fast dunkel. Über uns wirft der Mond ein düsteres Licht in die Nordwand. Nach fast elf Stunden kommen wir wieder an unserem Auto in Reichenbach an.


    Genaue Routenbeschreibungen gibt es im Internet genug. (www.bergsteigen.com) Der Text soll mehr ein Erfahrungsbericht als eine genaue Beschreibung sein.
    Zeiten:
    Reichenbach – Einstieg: 2 Stunden
    Einstieg – Gipfel: 6 Stunden
    Abstieg: 2,5 Stunden

    Ausrüstung:
    Steigeisen, Eisgeräte, Helm, 2x 60m Halbseile, kleine und mittellange Bandschlingen, kleine und mittlere Keile, Friends 0.5 bis 2 (BD Cam-Größen), Weichstahlhaken, LVS-Set so wie die Standart-Kletterausrüstung.
     
    Zuletzt bearbeitet: 13. Dezember 2013
    Thom gefällt das.
  2. Thom

    Thom Mitarbeiter Registrierter Benutzer Intern

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    Hey Benni,

    Gratulation zu Rubihorn-Nordwand und vielen Dank für den klasse Bericht hier.
    Sehr beeindruckende Fotos, besonders Bild 2 hat es mir angetan.
    Ich hoffe du kannst noch ein paar weitere derartige Projekte realisieren.

    Viele Grüße
    Thom
     
  3. Johannes

    Johannes Mitarbeiter Registrierter Benutzer Intern

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    Moin Benni,

    da kann ich mich nur anschliessen - eine tolle Tour & ein spannender Bericht!
    Die Fotos lassen die Schwierigkeiten erahnen. Schaut kalt aus :wink:

    :thumbsup:

    Grüße
     
  4. Dr. Wolf

    Dr. Wolf Registrierter Benutzer

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    Super Bericht! Liest sich echt gut und ist sehr motivierend. Ich hoffe ich kann diese Tour im kommenden Winter auch gehen. Kannst Du einen Tipp geben, wie man den Einstieg findet? Grüße
     
  5. mc239

    mc239 Registrierter Benutzer

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    ist nicht schwierig, kann ein paar Bilder einstellen, wenn Du willst...
     
  6. Dr. Wolf

    Dr. Wolf Registrierter Benutzer

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    Fotos wären nicht schlecht. Laut bergsteigen.com ist der Einstieg am höchsten Punkt des Schotterfeldes. Dann ist er wohl tatsächlich recht leicht zu finden.
     
  7. mc239

    mc239 Registrierter Benutzer

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    IMG_5376.JPG
    Der Einstieg befindet sich leicht rechts der Bildmitte, dort wo die Rampe von links auf die kleinen Fichten trifft.
     
    Zuletzt bearbeitet: 1. Oktober 2017
    Dr. Wolf gefällt das.
  8. mc239

    mc239 Registrierter Benutzer

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    IMG_5392.JPG
    Hier nochmals aus einer anderen Perspektive...

    IMG_5379.JPG
    Start der ersten Seillänge, geht leicht nach rechts, war bei uns ziemlich bröselig...

    IMG_5397.JPG

    Die vierte Seillänge ist die schönste....

    Leider gabs bei unserer Begehung kein Eis, so dass die Wasserfallvariante ausfiel
    Insgesamt haben wir vom Auto weg bis wieder zurück ca. acht Stunden benötigt, inklusive Tasse Kaffee und
    Stück Kuchen an der Gaisalpe. Dort haben wir uns dann n Schlitten ausgeliehen...

    Variante: abseilen über den Gaisalpfall
     
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